Legenden, Keller, Leidenschaft: Kurze Geschichte des Jazz Club Minden e.V.

„Jazz ist mehr als Musik – Jazz ist eine Haltung.“ Mit dieser Überzeugung wurde der Jazz Club Minden am 3. Mai 1953 gegründet. Was mit ein paar Schülern begann, ist heute eine Institution – mit 70 Jahren Geschichte, internationalem Renommee und einem Herz, das in Minden schlägt.

Ein Koffer voller Schellackplatten

Im Jahr 1948 brachte der Schüler Christian Beermann aus England etwas mit, das alles verändern sollte: Schellackplatten mit Musik von Louis Armstrong, Duke Ellington und Count Basie – heiß begehrt und in Deutschland kaum zu bekommen. Begeistert lauschten seine Mitschüler den neuen Klängen. Unterstützt durch den britischen Soldatensender BFN und das AFN-Radio entstand eine kleine, aber leidenschaftliche Jazzszene.
„Wir wollten nicht nur hören – wir wollten verstehen, fühlen und mitmachen“, erinnert sich ein Gründungsmitglied Jahrzehnte später. Bald wurden Bücher wie „The True Jazz“ von Rex Harris in Umlauf gebracht, Diskussionen geführt und erste Treffen organisiert. Der Jazz Club war geboren.

 

Jazz als Kunstform - nicht als Tanzmusik

Die Gründungsmitglieder wollten keinen Tanzschuppen. In der Satzung hieß es klipp und klar: „Ziel des Clubs ist es, den Geist des echten, unverfälschten Jazz zu pflegen.“ Das bedeutete: Tiefgang statt Schunkellied, Swing statt Schlager. Jazz sollte auf Augenhöhe mit der klassischen Musik stehen. Dazu gehörten Vorträge, Plattenabende, Diskussionsrunden – und natürlich Konzerte. Bereits 1956 wagte man den Schritt in den „Musentempel“: das Stadttheater Minden. Ein Jazzkonzert auf dieser Bühne war damals alles andere als selbstverständlich – heute ist es Tradition.

Die späten 1960er und frühen 1970er Jahre waren stürmisch. Zwar war der Club von den bis dahin genutzten Kellerräumen der gutbürgerlichen Villa Volkmann an der Marienstraße und einem kurzen Intermezzo in der Königsstraße in den mit  liebevoller Eigenarbeit um- und ausgebauten Keller (was sonst) am Priggenhagen unter dem historischen „Butterhaus Harmonia“ umgezogen, was unter anderem vermehrte Konzertveranstaltungen und teils auch ein neues Publikum zur Folge hatte. In dieser Zeit entstand übrigens auch das vom heimischen Künstler-Original Jo Klaffki gestaltete, heute ikonische Club-Emblem. Der unterhielt nebenan eine Galerie, war selbst Aktiver im Club und sogar mal kurze Zeit im Vorstand.

Doch nach heftigen internen Turbulenzen innerhalb der tragenden Vereinsstruktur stand der Club vor dem Aus. Die Rettung kam – unter anderem – ausgerechnet vom Mittellandkanal. 1969 legte dort ein Boot an, das einem unkonventionellen Berliner gehörte: Harry Palaitis, genannt „Old Harry“, war Entertainer, Sammler, Schauspieler (u.a. in „Der Tiger von Eschnapur“), Händler allerlei teils dubioser Gegenstände – und charismatischer Musiker an Schlagzeug und Akkordeon.  Mit Gleichgesinnten gründete er die bald legendäre Old Harry’s Jazzband. „Harry hatte Swing im Blut – und eine angebeulte Trompete, die ihm einst bei der Flucht vor dem Stubenarrest half“, heißt es augenzwinkernd in einer Anekdote.

Die Band spielte regelmäßig im Clubkeller – meist ohne Gage, aber mit Leidenschaft. Der Saal war voll, die Stimmung brodelte. Ein neuer Vorstand baute drumherum ein Angebot zunehmend hochwertiger Konzerte auf und aus. Der Club war gerettet.

Kreativität, neue Kellerkultur und große Namen

In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich der Jazz Club Minden zu einem Leuchtturm des ehrenamtlichen Kulturlebens. Grundlage des Erfolgs waren die regelmäßig mit immer bekannteren Namen veranstalteten Konzerte in der Clubräumen. Gleichzeitig suchte man die Öffentlichkeit außerhalb der Kellerräume. Veranstaltungen im Stadttheater, auf der Freilichtbühne, an der Schachtschleuse oder auf Weserschiffen wurden organisiert. Auf dem Gelände einer abgerissenen Zigarrenfabrik (heute Obermarkt-Passage) gegenüber den Clubräumen erblickte 1982 die später alljährlich stattfindende legendäre Jazz Summer Night das Licht der Stadtgeschichte – open Air bei freiem Eintritt., die französische Swing-Bigband „Royal Tencopators“ spielte auf einem zur Bühne umfunktionierten Lkw-Anhänger. Gleichzeitig traten im Club immer mehr internationale Künstler auf.

Wachsen, vernetzen, begeistern: Seit den späten 1970ern, vor allem dann aber in den 1980ern entwickelte sich der Jazz Club Minden zu einem kreativen, vielfältigen und verlässlich aktiven Kulturverein, der im Stadtleben weit über die ursprüngliche eingeschworene Fan- und Kennergemeinde hinaus Bedeutung gewann und zu einem respektablen Faktor nicht nur bürgerschaftlichen Engagements sondern auch kultureller Relevanz heranwuchs. 

1987 zog der Club in sein heutiges Domizil am Königswall. Hier hatte die Stadt in den Gebäuden einer aus der Stadtmitte ins Industriegebiet verzogenen Brennerei ein großzügiges Bildungszentrum einrichten lassen, in dem unter anderem Volkshochschule, Stadtbibliothek, Fernuniversität und andere Einrichtungen ihren Platz fanden. Dem Club bot man – was sonst – den Keller als Mietgelegenheit. Der wurde nach den Plänen  des renommierten Architekten H.P. Korth ebenso kreativ wie zweckdienlich und ausgerichtet auf die Bedürfnisse des Clubs um- und ausgebaut und ist seither auch räumlich ein Aushängeschild ehrenamtlich organisierten Kulturlebens in Minden. Das neue Domizil sollte ein Quantensprung in der Clubentwicklung werden.

Neben den wöchentlichen Clubkonzerten entwickelte man Formate wie den zweitägigen Mindener Jazz Frühling, Gospelkonzerte in der Martini-Kirche, Jam Sessions mit einer festen Hausband sowie verschiedenste Sonderformate, unter anderem die lange Jahre erfolgreiche Jazzdisco“Urban Groove Collective“. Der Club beteiligte sich mit eigenen Konzertangeboten am Mindener Stadtfest, die alljährliche Jazz Summer Night fand nach Zwischenstationen auf dem kleinen Domhof ihre endgültige Heimat schließlich auf dem  Marktplatz. Mit Workshops und Schulkooperationen wurden erste Schritte in der Nachwuchsförderung unternommen. 

Höhenflug und Beinahe-Absturz

Aufgrund seines Programms und seiner Aktivitäten strahlte der Club zunehmend und teils weit über die Grenzen der Stadt hinaus, zunehmend kamen Besucher  und auch Mitglieder von außerhalb. Neben internationalen und nationalen Jazzgrößen fanden aber auch auch regionale Künstler ihren Platz auf der heimischen Bühne: Die Mindener Jazz Combo, Mojazz, Low Rider und andere traten auf, wuchsen im Club – und wurden Teil seiner Geschichte.

1987 organisierte der Club im Auftrag der Stadt die NRW-Kulturtage Jazz: eine ganze Woche voller Konzerte und Veranstaltungen an den verschiedensten Locations – ein voller Erfolg. Eine dramatische Pleite – zumindest in finanzieller Hinsicht – war dagegen das 1988 zum 1200-jährigen Stadtjubiläum im Weserstadion aufgezogene „1. Jazz Open Minden“. Erst regnete es während nahezu der gesamten Vorverkaufszeit und schließlich auch am Veranstaltungstag, dann sagten die Headliner „Temptations“ kurzfristig ab und so wurde das Großereignis mit Al Jarreau, Steve Winwood, Tito Puente, Peter Fessler, Arturo Sandoval und Hiram Bullock trotz musikalischer Klasse zu einem wirtschaftlichen Desaster. Nur mit wohlwollender Kreditvergabe der Hausbank sowie persönlichen Bürgschaften amtierender Vorstände konnte eine Insolvenz vermieden werden.

Das Jubiläum 2003 war ein Feuerwerk: Ein ganzes Jahr lang wurde mit einem besonderen Programm gefeiert. Vor allem aber zehn Jubiläumstage im Mai  – im Dom, im Museum, auf der Weser, im Theater – und natürlich im Club.

Einer der Höhepunkte: Duke Ellingtons „Sacred Concerts“ im Mindener Dom, aufgeführt von der NDR Bigband, dem NDR Chor und Gospel-Sängerin Etta Cameron. Der Dom wurde erstmals für ein externes Konzert geöffnet – eine Geste, die zeigt, wie sehr der Club in der Stadt verwurzelt ist. Die Jazz Gala im Theater mit den New York Voices und Jocelyn B. Smith war ein weiteres Highlight, ebenso wie die Wiederauflage der Riverboat Shuffle auf dem historischen Raddampfer „Wappen von Minden“, der Auftritt des damals Furore machenden jungen Trompeters Roy Hargrove oder das Doppelkonzert mit zwei Generationen von Klaus Doldingers legendärer Band „Passport“.

Parallel dazu präsentierte das Mindener Museum die Ausstellung „HOT! 50 Jahre Jazz Club Minden“ – ein Kaleidoskop aus Musikgeschichte, Lokalkultur und Kreativität. Eine 36-seitige Festschrift, ein haushohes Banner am Schünke-Hochhaus, intensive Medienresonanz und vor allem überwältigender Publikumszuspruch machten das akribisch geplante und vorbereitete Jubiläums-Event zum erneut weit über die Grenzen Mindens hinaus ausstrahlenden Ereignis.

Professionalität im Ehrenamt

In den folgenden Jahren wurde der in den 80ern eingeschlagene Weg konsequent weiter beschritten. Wachsende Mitglieder- und Besucherzahlen machten neue Strukturen im nach wie vor ehrenamtlichen Aktivenkreis erforderlich. Erstmals wurden bezahlte Mitarbeiter für den Gastronomieservice eingesetzt.

Wachsender Aufwand in der Veranstaltungsorganisation – von Buchung über Öffentlichkeitsarbeit bis Konzertorganisation und -abwicklung – erforderte nahezu professionelles Management. Auch die Vereinsführung benötigte von Mitgliederwesen bis Finanzbuchhaltung zunehmendes Engagement.

Schon früh stieg der Club in die Digitalisierung ein und war einer der ersten Jazz Clubs in Deutschland mit eigener Homepage. Schritt für Schritt folgten Engagements in den sozialen Medien. Steigende Anforderungen der Profi-Gäste an die technische Ausstattung hatten entsprechenden Investitions- und Handhabungsbedarf zur Folge. Ton-, Bühnen-, Licht- und Mischpulttechnik mussten regelmäßig ergänzt, erweitert oder gar vollständig ausgetauscht werden.

Auch die Räumlichkeiten wurden immer wieder renoviert, Installationen und Mobiliar ausgetauscht. Ein entsprechendes Gutachten führte zu einem umfangreichen Maßnahmenplan zur Akustikverbesserung. Die Corona-Krise überstand der Club mit einem blauen Auge – und verfügte anschließend sogar über eine topaktuelle Videoscreen-Anlage.

Zunehmende Bedeutung gewann die Nachwuchsförderung. Mit der „Bandfabrik“ bot (und bietet) man heimischen Jungmusikern die Gelegenheit zum gemeinsamen Proben, Jammen und Wachsen unter professioneller Anleitung, ergänzt um Workshops mit Profi-Musikern, teils aus dem Club-Programm. Die ambitionierte Reihe „Young Jazz Ahead“ wiederum bietet regelmäßig Jung-Profis aus ganz Deutschland die Gelegenheit, sich vor sachkundigem Publikum auf der etablierten Club-Bühne zu beweisen. Hier haben auch schon Karrieren wie die von Jakob Manz oder Simon Oslender ihren Ausgangspunkt genommen.

Immer wichtiger wurde die Suche nach zusätzlichen Finanzierungsquellen, war all dies aus dem Beitragsaufkommen der Mitglieder und den – wenn überhaupt: spärlichen – Erlösen aus dem Veranstaltungsbereich doch längst nicht mehr zu stemmen. Die Suche nach Sponsoren, die Beantragung von Projektförderungen bei Stiftungen oder auch mehrfach gewonnene Preise wie etwa der „Applaus“ der Bundesbeauftragten für Kultur für die Programmarbeit halfen hier über manche Hürde.

Dass all dies bei vollständigem Erhalt der ehrenamtlichen Struktur gewährleistet werden konnte, war sicher auch der langen, seit Ende der 80er Jahre anhaltenden Kontinuität an der Vereinsspitze zu danken, die gleichzeitig von einer ebenso kontinuierlichen Erneuerung und Auffrischung im Kreis der Aktiven begleitet wurde.

Auch nach über 70 Jahren ist der Jazz Club Minden lebendig wie eh und je – als eingetragener Verein ebenso wie als Spielstätte für qualitativ hochwertige Musik. Große Namen stehen hier ebenso wie spannende Neuentdeckungen, aufstrebende Nachwuchsgruppen oder auch heimische Talente auf der Bühne – in einem stilvollen, technisch auf höchstem professionellen Niveau ausgestatteten Clubkeller, der regelmäßig brodelt vor musikalischer Energie und Emotion. Gleichzeitig bleibt die Verbindung zur Stadt stark: Der Club gestaltet Kulturveranstaltungen mit, arbeitet mit Schulen, Bildungsträgern und anderen Partnern zusammen – und bleibt ein Treffpunkt für Jazzfans aller Generationen.

All diese Aktivitäten basieren weiterhin ausschließlich auf ehrenamtlichem Engagement – eine Besonderheit, die weit über Minden hinaus für Anerkennung sorgt. Der Jazz Club Minden ist ein Ort der Musik – und ein Ort der Menschen. Seit über 70 Jahren bringt er Künstler und Publikum, Generationen und Ideen zusammen. Nicht aus kommerziellem Interesse, sondern aus Überzeugung, Leidenschaft und Freude.

Duke Ellington würde sagen:
„It don’t mean a thing if it ain’t got that swing.“


Immer noch nicht genug? Hier gibt's weiterführende Links:


Historische Fotos

(wird in losen Abständen ergänzt …)

Villa Volkmann, Marienstraße
Villa Volkmann, Marienstraße
Villa Volkmann, Marienstraße
Priggenhagen
Priggenhagen
Old Harry's Jazzband
Priggenhagen
1. Jazz Open Minden
Die Temptations präsentieren das Veranstaltungsplakat.

Abgesagt!

Name der Veranstaltung

08.04.2022

Leider muss diese Veranstaltung aus Gründen xy abgesagt werden. Wir bemühen uns um einen Ersatz-Termin!

Corona-Regeln

Aufgrund der aktuellen Corona Schutzverordnung
gilt in unserem Club die 3G Regelung.

Wir brauchen Hilfe!

Der Jazz Club Minden e.V. gehört als Konzertveranstalter zu den ersten Adressen, und das weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Wir suchen Servicekräfte an den regelmäßigen Samstag-Konzertabenden.

Der Dienst beginnt um 19:30h und endet nach dem Konzert ca. zwischen 00:00h und 02:00h.

Bezahlung ist über den Mindestlohn garantiert.

Hast du Interesse dann melde Dich unter contact@jazz-minden.de

Wir freuen uns auf Dich ! 😎